STAT, eine vom Boston Globe betriebene Webseite für gesundheitsbezogene Nachrichten, hat ein ausführliches Update zu Watson for Oncology publiziert (siehe Lit.). IBM vermarktet seine künstliche Intelligenz „Watson“ für verschiedene Einsatzzwecke. WfO ist ein Expertensystem für die Behandlung von Krebspatienten und zählt zu den Anwendungen, die bereits verkauft werden.

Wenn man ihm die Daten eines Patienten eingibt (oder Watson direkt mit einer elektronischen Krankenakte verbindet), dann verbindet ein lernender Algorithmus sie mit einer riesigen Datenbank aus medizinischer Literatur, Studienergebnissen und Expertenwissen und produziert innerhalb von Sekunden eine Therapieempfehlung.

IBM sieht darin riesige Expansionschancen und hat in dieser Sparte 7000 Mitarbeiter eingesetzt. Das System ist cloudbasiert und wird nach der Installation, die natürlich auch schon Kosten mit sich bringt, nutzungsabhängig berechnet. STAT nennt Preise von 200-1000 Dollar pro Fall. Das klingt teuer, könnte aber eine attraktive Alternative für kleine oder abgelegene Krankenhäuser sein, die sich keinen Onkologen leisten können.

IBM soll bis jetzt 50 Kunden gewonnen haben, überwiegend in Asien, während in den personell besser aufgestellten USA nur zwei Krankenhäuser Watson installiert haben: Das renommierte MSKCC in New York, und das städtische Krankenhaus von Jupiter (FL).

Ein wesentliches Problem ist, dass Watson nicht in unabhängigen Studien geprüft wurde – alle Veröffentlichungen stammen von IBM-Mitarbeitern und wurden von IBM bezahlt. Es sind auch nur Konformitätsstudien, die nachweisen sollen, dass Watsons Empfehlungen denen von fachkundigen Ärzten gleichwertig sind. Natürlich sind diese Fallserien nicht randomisiert. Es wird nicht offengelegt (und bei einem neuronalen Netz ist es vielleicht sogar prinzipiell nicht herauszufinden), wie das System auf seine Aussagen kommt, und ob das immer fehlerfrei abläuft. Sicher ist nur, dass nicht IBM haftet, wenn einmal ein Patient durch eine falsche Therapie Schaden nimmt. Watson ist nicht als Medizinprodukt zugelassen.

Ein weiteres Problem ist der starke amerikanische Einfluss auf die KI. Es werden überwiegend US-amerikanische Leitlinien und Studien erfasst, die nicht überall auf der Welt als Standard akzeptiert sind. Dazu kommt, dass – was IBM etwas verschämt kommuniziert – ein großer Teil des Expertenwissens von einer kleinen Gruppe von Krebsspezialisten im MSKCC stammt, die Watson in regelmäßigen Sitzungen schulen. Wer diese Personen sind, wurde nicht bekanntgegeben; es werden vermutlich Oberärzte der verschiedenen Abteilungen sein.

Watson ist deshalb praktisch „MSKCC in einer Kiste“ (eine Formulierung von STAT). Er erinnert ein wenig an den mechanischen Türken, der im 18. Jahrhundert scheinbar Schach spielen konnte – tatsächlich aber nur die Befehle eines in der Kiste versteckten Menschen ausführte.

STAT erwähnt einen Feldversuch in Dänemark, bei dem die Übereinstimmung von Watson mit den örtlichen Onkologen sehr schlecht war. Und nur die wohlhabenden Industriestaaten können sich die amerikanischen Behandlungsstandards überhaupt leisten, sie werden schon aus wirtschaftlichen Gründen von den Empfehlungen der New Yorker Spezialisten abweichen müssen.

Es ist also fraglich, ob morgen schon Krebspatienten überall auf der Welt nach Watsons Regeln und Kriterien behandelt werden. Sicher ist aber, dass Länder mit stabilen Finanzen, aber großen dünn besiedelten Gebieten von cloudbasiertem Expertenwissen profitieren können – etwa Australien oder China. Und vielleicht kann IBM in den nächsten Iterationen die Datenbasis so erweitern, dass auch europäische Onkologen ihre Strategien abgebildet sehen. Oder Mitbewerber wie Google, Microsoft, oder Amazon schaffen es vorher. Dann werden wir den elektronischen Kollegen tatsächlich so selbstverständlich nach der besten Krebstherapie befragen wie Siri nach dem Wetter von morgen.