Zu diesem Thema referierte mein Kollege Prof. Markus Juchems, Chefarzt der Radiologie in Konstanz, gestern bei der neurologisch-gefäßchirurgischen Konferenz im Klinikum Singen.

Die Methode beruht darauf, das Gerinnsel ein Maschengeflecht (Stent) an der Spitze eines langen Katheters über die Leistenarterie einzuführen, das Gerinnsel damit aufzunehmen und nach unten herauszuziehen (sog. Stent retrieval).

Es gibt insgesamt acht kontrolliert-randomisierte klinische Studien, die untersucht haben, ob die Patienten, die mit diesem neuroradiologischen Eingriff behandelt werden, später weniger Langzeitfolgen zurückbehalten und eine bessere Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Nachdem drei ältere Studien keinen Vorteil für die Intervention gezeigt hatten, sind Januar – Juni 2015 gleich fünf neue Arbeiten im New England Journal of Medicine erschienen, die alle das Gegenteil, einen erheblichen Vorteil von mindestens (absolut) 13% ergaben.

Die Geräte und die Methodik haben sich offenbar verbessert!

Grafik eines Schlaganfalls

Abb.: National Heart Lung and Blood Insitute (NIH) [Public domain], via Wikimedia Commons

Die amerikanischen Fachgesellschaften AHA und ASA haben daraufhin ihre Leitlinie (s.u. Lit.) überarbeitet und empfehlen jetzt ohne Vorbehalt die Intervention für alle Patienten, die a) einen akuten, großen Gefäßverschluss haben, die b) vor dem Schlaganfall keine Lähmungen hatten, und die vor allem c) rechtzeitig im Krankenhaus eintreffen.

Rechtzeitig heißt: innerhalb von sechs Stunden nach Beginn der Symptome soll der Patient schon komplett untersucht sein und zum Eingriff vorbereitet auf dem Behandlungstisch des Neuroradiologen liegen! Das ist sehr sportlich, gerade in unserem kleinstädtischen Gebiet mit weiten Entfernungen.

Und selbst der schnellste Rettungswagen nützt nichts mehr, wenn er zu spät gerufen wird. Darum ist es wichtig, dass jeder die wichtigsten Symptome eines Schlaganfalls kennt. Das englische Akronym FAST (= schnell) kann dabei helfen (Quelle):

  • Face: Bitten Sie die Person zu lächeln. Ist das Gesicht einseitig verzogen? Das deutet auf eine Halbseitenlähmung hin.
  • Arms: Bitten Sie die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, sinken oder drehen sich.
  • Speech: Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
  • Time: Wählen Sie die 112 und schildern Sie die Symptome.

Ob das Gerinnsel so liegt, dass es mit entfernt werden kann, in der Halsschlagader oder im Hauptstamm der mittleren Hirnarterie, muss so schnell wie möglich mit einer Perfusions-CT geprüft werden. Diese Untersuchung wird nicht in allen Krankenhäusern vorgehalten; es ist also wichtig, daß der Rettungsdienst auch die richtige Klinik ansteuert. Dafür gibt es ein Netz von zertifizierten Schlaganfallzentren und -stationen, die den Rettungsleitstellen bekannt sind.

Um den Transport zu beschleunigen, kann man auch Hubschrauber einsetzen. Die neue Leitlinie wird gleichwohl nicht zu einem merklichen Anstieg solcher Hubschraubereinsätze über Singen und Konstanz führen. Prof. Christof Klötzsch, Chef der Singener Neurologie, schätzte bei der o.g. Veranstaltung, daß bisher höchstens jeder fünfte Patient rechtzeitig in der Klinik ankommt, und sich davon nur jeder fünfte sich zum Eingriff eignet, insgesamt also nur 4% aller Schlaganfälle mit dem neuroradiologischen Eingriff behandelt werden können.

Während der Vorbereitung und sobald eine Gehirnblutung ausgeschlossen ist, erhalten die zum Eingriff geeigneten Patienten überbrückend die normale konservative Lysebehandlung, wie sie in der S1-Leitlinie (PDF aus 2012) der deutschen Gesellschaft für Neurologie beschrieben ist.

Einen Kritikpunkt habe ich, nachdem ich die neue Leitlinie und die ihr zugrundeliegenden Studienberichte gelesen habe: Nur die erste der neuen Studien (MR-CLEAN) lief wie geplant durch. Die anderen vier (ESCAPE, SWIFT-PRIME, EXTEND-IA, und REVASCAT) wurden aus ethischen Gründen vorzeitig gestoppt, nachdem die guten MR-CLEAN-Ergebnisse vorlagen. D.h. die Studienlage ist schwächer, als sie auf den ersten Blick aussieht, denn die beste Studie hat die vier anderen erheblich beeinflußt.

Hilde Bastian hat Ende September in ihren beiden Blogs erläutert, wann man Patientenstudien vorzeitig abbricht, und drei aktuelle Beispiele zusammengestellt, bei denen ein vorzeitiger Studienabbruch die späteren Ergebnisse komplett verfälscht hätte.  (Bastian ist eine australische Publizistin mit Schwerpunkt auf der evidenzbasierten Medizin. Sie hat für das deutsche IQWiG  gearbeitet und ist jetzt beim amerikanischen NIH.)