Warum verschicken die Ärzte noch immer-immer-immer ihre Briefe als Fax? Dieses unpraktische Kommunikationsmittel aus der digitalen Steinzeit?

Unsere Praxis beispielsweise empfängt und versendet täglich gut 100 Faxe. Natürlich meistens papierlos mit Computerfax. Aber sonst genau wie damals, als Berti Vogts noch Bundestrainer war. Die Dokumente werden beim Absender in Bilder verwandelt, pixelweise übertragen, und nach der Übertragung per OCR wieder in computerlesbare Dokumente zurücktransformiert.

Warum gehen wir nicht zu den Diensten der Telematik-Infrastruktur über? Was ist denn los mit uns, zum Teufel? Eine berechtigte Frage. Sie wird fast täglich im Heise-Forum gestellt. Die von mir sehr geschätzten Medizininformatiker Prof. Dambe, Prof. Wache, und Prof. Breil fragen sie immer wieder in ihrem informativen und gutstrukturierten Podcast zur Medizininformatik vom Hoch- und Niederrhein. Und ich stelle sie mir auch jeden Tag.

Die Antwort, die Medizininformatiker, Politiker und Journalisten oft gibt, lautet: Ärzte sind bockig und altmodisch. Sie blockieren alles Neue, aus Angst vielleicht, oder aus Prinzip.

Ich kann nur für mich sprechen, nicht für alle Ärzt:innen, und sicher sind manche von uns konservativ, aber generell trifft dieser Grund nicht zu. Tatsächlich haben viele Ärzt:innen und gerade wir in der Radiologie sogar eine Vorliebe für Informationstechnologie. Wir führen ein, was geht, und so schnell es geht. Von der elektronischen Patientenakte und vom eArztbrief verspreche ich mir große Vorteile bei der täglichen Arbeit.

Das gesagt, ist natürlich unverständlich, warum wir in der Praxis so viel Schwierigkeiten bei der Telematik-Einführung haben. Deshalb hier mal ein kleines Tagebuch, wie ich seit über 5 Jahren versuche, ePA und eArztbrief bei uns einzuführen.

  • 2003: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmid stellt den Plan für ein deutschlandweites Rechnernetz im Gesundheitswesen vor. Für Praxen, Krankenhäuser, und Patienten. Alle Gesundheitsdaten sollen digital und online ausgetauscht werden. Der Name: Telematik-Infrastruktur (TI).
  • 2018: Spezifikation fertig, Hardware mehrerer Anbieter verfügbar
  • Dezember 2018: Unsere Praxis bestellt den Anschluss
  • Anfang 2019: elektronische Ausweise bestellt, PostIdent, Empfangsvollmachten etc. organisiert
  • Mai 2019: Plombiertes Material trifft ein und wird an die TI angeschlossen
  • Erstausstattung mit Konnektor, Kartenlesern, Versand, „Freischaltgebühr“ etc. 6.688 €
  • Einrichtung & Inbetriebnahme durch unseren RIS-Hersteller 1.488 €
  • Konfiguration für das Mammografiescreening 536 €
  • Schnittstelle für die elektronischen Praxisausweise (SMC-B) 536 €
  • Mobiler Kartenleser für unterwegs 300 €
  • Upgrade des Konnektors für die elektronische Patientenakte 458 €
  • Schnittstelle für die elektronische Patientenakte 107 €
  • Vor-Ort-Unterstützung durch IT-Partner: ca. 10 Arbeitsstunden * 180 € = 1.800 Euro
  • Summe = 11.806 €; erstattet durch die Kassenärztliche Vereinigung wurden pauschal 2.882 € (= 24 %)
  • Juli 2019: Der Patientenstammdatenabgleich funktioniert
  • Juli 2019 – 1/2022: Wir fragen bei unseren Softwarepartnern regelmäßig nach weiteren Funktionalitäten
  • Winter 2021/2022: Unsere Kartenleser fallen ständig aus, sie vertragen elektrostatische Aufladung nicht. Nachinstallation von Erdungsmatten und ähnlichem Voodoo
  • Februar 2022: Unser RIS-Hersteller meldet, die technischen Vorbereitungen für eArztbrief und ePA seien „so gut wie abgeschlossen“
  • März 2022 – Dezember 2022: weitere Nachfragen per Telefon und Mail
  • Dezember 2022: ePA- und eArztbrief-Einrichtung scheitert an einem zu alten Server. Upgrade- und Virtualisierungsprojekt gestartet, Kosten auf allgemeine IT gebucht
  • Januar 2023: elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung funktioniert
  • April 2023: Jährliche Konnektorwartung des Konnektorherstellers 1.008 €
  • Jahresgebühr des RIS-Herstellers für die TI-Komponenten 3.428 €
  • Jahresgebühren für die elektronischen Praxis- und Arztausweise = 382 €
  • Jahresgebühr des KIM-Anbieters (wird z.B. für eArztbrief gebraucht) 180 €
  • Summe jährlich = 4.998 €; jährliche Erstattung derzeit 1.544 € (= 31 %)

Kosten und Nutzen

Man sieht: die TI kostet die Praxis 3-4x soviel, wie erstattet wird. Das senkt schon mal die Motivation. Dazu kommt die eigene Arbeitsleistung, die in den Kalkulationen fehlt – viele Stunden für Projektplanung, -koordination, eigenes Lernen, & Schulung der Mitarbeiter:innen. Besonders nervend während der Installation war, dass es keine Testkarten oder -Datensätze für Anwender gab. Demotivierend sind auch: die aus Anwendersicht große Komplexität des Gesamtsystems, unerwartete Hard- und Softwareabhängigkeiten, schleppende Kontakte zu den Softwareherstellern, schlechter Support. Das öffentliche Interesse ist sehr schwach: nach elektronischer Befundübertragung fragen nur sehr wenige Zuweiser. Patienten wollen in der Regel ganz normale e-Mail, die wir aus Datenschutzgründen aber nicht einsetzen dürfen. Die ePA-Befüllung durch uns ist nur fraglich funktionsbereit, mangels Nachfrage ungetestet.

Auf der Plus-Seite steht: der Patientenstammdatenabgleich funktioniert seit 2019 absolut perfekt und störungsfrei, like a charm. Das bedeutet, die Daten bei der Kasse und auf der Chipkarte bleiben immer schön identisch. Und ungültige Karten werden sofort erkannt und automatisch gesperrt. (Eine nützliche Funktion? Das entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings: soweit ich sehe, wurden in den letzten vier Jahren keine gestohlenen/gefälschten Karten erkannt – meistens lag die neue Karte einfach noch zu Hause oder in der Post.)

Wie geht es weiter?

  • Schleppend wie bisher (meine Prognose).
  • Unser Konnektor wäre dann bald „abgelaufen“ und soll getauscht werden: Dazu warte ich mal die aktuelle Entwicklung ab.
  • Januar 2024: eRezept soll starten