Im kommenden Halbjahr werden alle deutschen Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Psychotherapeuten und Klinikambulanzen an die Telematik angeschlossen. Das ist gesetzliche Vorschrift und hat für die Krankenkassen den Vorteil, dass sie über jede einzelne Konsultation sofort informiert sind und noch während der Patient am Tresen steht, seinen Versicherungsstatus prüfen können. Deshalb tragen sie die mit der Einführung verbundenen Kosten in Milliardenhöhe.

Vorteile für die Praxen… gibt es bisher nicht. Eventuell lässt sich das System, eine Art VPN, später für Rezepte und zur Arztbriefübertragung verwenden.

Vorteile für Patienten gibt es bisher auch noch nicht. Jedenfalls müssen sie künftig die neue eGK mitbringen, sonst kommt es bei der Anmeldung zu Problemen. Angedacht ist, im System später Notfalldaten, Medikationsplan, Briefe und Befunde zu verwalten. Das wäre sehr nützlich; denn oft erscheinen unsere Patienten ohne Vorberichte und -bilder zur Untersuchung.

Nach dem bisherigen Protokoll braucht man für den Zugriff allerdings einen zertifizierten Kartenleser für die eGK. Der Minister plant nun, den Patienten auch den Zugriff ohne solche Infrastuktur zu ermöglichen, einfach per Handy. Man könnte so mit wenigen Klicks oder Swaps die eigenen Gesundheitsdaten einsehen, und den Therapeuten zugänglich machen. Einige Krankenkassen haben dafür Apps entwickelt, die z.B. „Vivy“ oder „TK-Safe“ heißen, und sich im Gegensatz zu den Angeboten internationaler Konzerne um den nötigen Datenschutz kümmern.

Kümmern sollen…

Eventuell ist das schwieriger als gedacht, weil die rein-softwarebasierte Datensicherung fehleranfällig ist. Martin Tschirsich, IT-Sicherheitsexperte aus Darmstadt, hat nicht nur schwere Sicherheitslücken in „Vivy“ gefunden (ging durch die Presse), sondern auch die anderen Apps ohne große Schwierigkeiten geknackt. Egal ob sie von kleinen Startups oder von großen IT-Unternehmen programmiert wurden. Sein Vortrag „All Your Gesundheitsdaten Are Belong to Us“ auf dem diesjährigen 35c3 (siehe Link) ist absolut sehenswert. (Falls Sie sich fragen, worauf dieser Titel anspielt.)

Das Hauptproblem: Sicherheit ist unbequem. Was für den Benutzer leicht ist, hilft auch den Hackern. Deren Motivation ist auch gesichert: elektronische Gesundheitsakten (in den USA wurden schon ca. 30 Millionen davon gestohlen) werden im Darknet gehandelt. Weiteres Problem: solche Daten bleiben auch nach Jahren für Verbrecher noch interessant, sie werden nicht wertlos wie alte Kreditkarten oder TANs. Ich bin den PatientInnen immer dankbar, wenn ich zur Fallbeurteilung  Vorberichte bekomme: aber dennoch wäre ich mit den neuen Apps noch vorsichtig.

Video: Martin Tschirsich: All Your Gesundheitsakten Are Belong To Us. Vortrag auf dem 35. Kongreß des Chaos Computer Club, Leipzig 2018 (auch bei YouTube)